Zwischenruf: Photovoltaik-Kraftwerke auf Ackerflächen statt Biokraftstoff!
Nachrechnen! Photovoltaik schlägt Photosynthese. Elektro schlägt Verbrennung. Disruptionen in der Energietechnik erfordern schnelleres Umdenken
Minister Habeck schlägt in seinem Entwurf für eine Photovoltaik-Strategie vor, die Hälfte des bis 2030 vorgesehenen Photovoltaik-Zubaus von 215 Gigawatt-Peak (GWp) mit Freiflächen-Anlagen zu realisieren und dafür auch Ackerflächen freizugeben. Jetzt opponieren das Umwelt- und das Landwirtschaftsministerium dagegen, die ebenfalls von Grünen geführt werden. Kleinteilige PV-Anlagen auf Gebäuden und Siedlungsflächen seien sinnvoll, aber teurer und langsamer zu realisieren, argumentiert Habeck, es sei wichtig, schnell voranzukommen. Für einen jährlichen Zubau von 11 GWp Freiflächen-Anlagen schlägt seine Strategie differenzierte Regeln vor. Aber die beiden anderen Ministerien blockieren: wertvolle Agrarfläche dürfe nicht geopfert werden.
Eine absurde Argumentation, wenn man sich die Zahlen genauer ansieht.
Auf ca. 14% der Landwirtschaftsfläche in Deutschland werden heute Energiepflanzen angebaut. Intensiv, mit Düngemitteln, Pestiziden und Subventionen. Vor allem Mais für Biogas und Raps für Biodiesel. Die für diesen Sektor verantwortlichen Bundesämter schwärmen immer noch von den CO2-Einsparungen, die damit erreicht würden. Das kann man nur behaupten, wenn man die technologischen und ökonomischen Entwicklungen der letzten zehn Jahre konsequent ignoriert.
Eine neue historische Situation
Unser Energiehunger ist mit Energie aus Photosynthese nicht zu stillen. Schon im 18. Jahrhundert wurde in Europa das Holz knapp. Nur durch immer intensivere Nutzung fossiler Energiequellen wurden die Industrialisierung und das Wachstum der Bevölkerung möglich. Seit 1770 hat sich die Weltbevölkerung verzehnfacht und der Primär-Energieverbrauch ist auf das Vierzigfache gestiegen. Nun aber stehen wir vor der Aufgabe, sehr schnell aufzuhören, fossilen Kohlenstoff in de Atmosphäre zu blasen. Die Hoffnung, mit Atomenergie eine Alternative gefunden zu haben, hat sich zerschlagen: Seit Ende siebziger Jahre wurden weltweit kaum mehr neue Atomkraftwerke in Auftrag gegeben. Ihr Anteil an der Stromproduktion ist seit 1990 von 17% auf 10% gesunken. Strom aus neuen Kernkraftwerken kostet mehr als aus allen anderen Kraftwerkstypen.
In den neunziger Jahren kam die Hoffnung auf, Energiepflanzen besser zu nutzen und damit fossile Brennstoffe in größerem Ausmaß zu ersetzen — zumindest vorübergehend. Staatliche Subventionen lösten dann einen Boom bei Biogas und Biokraftstoffen aus. Aber die berechtigten Zweifel wuchsen. Ab 2010 fing die Politik gegen zähen Widerstand der Lobbies an zu bremsen. Aber die einmal etablierte Produktion lief weiter. Die kontroverse Diskussion dreht sich seit Jahren vor allem um die Alternative „Tank oder Teller“. Nahrungsmittel und Naturschutz seien wichtiger, sagen auch die grünen Minister.
Aber inzwischen sind die Alternativen ganz andere. Neuartige Technologien haben die Ausgangslage gegenüber der Situation vor zehn, fünfzehn Jahren grundlegend verändert:
Bei der Energiegewinnung: Photovoltaik kann das Sonnenlicht heute zwanzigmal effizienter in nutzbare Energie umsetzen als die Photosynthese mit Energiepflanzen. Dank Kostensenkungen, wie es sie in der Energietechnik noch nie gegeben hat, ist Photovoltaik inzwischen die billigste Methode, um Strom zu erzeugen.
Bei der Energienutzung: Hocheffiziente Batterien und Leistungselektronik ermöglichen heute eine wesentlich effizientere und flexiblere Stromnutzung. Elektromobilität und Wärmepumpen ermöglichen gegenüber dem Verbrennen von Biomasse riesige Effizienzgewinne.
Das ist in der Fachwelt nicht unbekannt. Seit Jahren wird in Studien auf einzelne dieser Aspekte hingewiesen. Aber die Zahlen sind in ihrer Kombination so umwerfend, dass Politiker, Betriebswirte und interessierte Laien ihnen nicht trauen.
Deshalb scheint es nützlich, ein paar Vergleichszahlen nachvollziehbar vorzurechnen.
Energiegewinnung
2020 wurden nach Angaben der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) in Deutschland 168 PetaJoule (PJ) Biokraftstoffe verbraucht. Davon kamen 47% aus Europa und nur 14,4% aus Deutschland. Von den aus Deutschland stammenden Biokraftstoffen wurden 59% (14,3 PJ) aus dafür angebauten Pflanzen gewonnen, der Rest aus Abfällen und Reststoffen. Vor allem wird in Deutschland Raps für Dieseltreibstoff angebaut. Das Statistische Bundesamt weist für den gesamten Straßenverkehr in Deutschland 2020 einen Energieverbrauch von 2.253 PJ aus. Die Biokraftstoff-Anbaufläche in Deutschland lieferte davon also nur 0,63%.
Nach Angaben der Fachagentur für Nachwachsende Rohstoffe (FNR) wurden 2020 auf 2,35 Millionen Hektar (ha) Energiepflanzen angebaut. Das sind 14% der landwirtschaftlichen Fläche in Deutschland. Davon waren 736.000 ha (4,4% der LW-Fläche) für Biokraftstoffe bestimmt, der Rest vor allem für Biogas. Der Biokraftstoff-Ertrag lag also bei 19,4 GJ/ha. Wollte man demnach den gesamten Straßenverkehr in Deutschland mit Biokraftstoffen betreiben, wären dafür 116 Mio ha notwendig. Das wäre das 3,2-fache der Fläche Deutschlands oder das Siebenfache der gesamten deutschen Landwirtschaftsfläche.
Wollte man in Deutschland den gesamten Straßenverkehr mit Biokraftstoffen betreiben, wäre dafür das Siebenfache der Landwirtschaftsfläche notwendig
Würde hingegen die Biokraftstoff-Anbaufläche vollständig für Photovoltaik genutzt, dann ergäbe sich (bei einer üblichen Belegungsdichte von 0,8 MWp/ha) eine installierte Leistung von 590 Gigawatt-Peak (GWp). Das wäre fast das Dreifache des PV-Ausbauziels für 2030 (215 GWp). Damit ließen sich in Deutschland jährlich ca. 590 Terawattstunden (TWh=Milliarden kWh) produzieren. Das entspricht dem heutigen Stromverbrauch (583 TWh). Oder 42% des Strombedarfs, den das Fraunhofer ISE in seinem Referenz-Szenario für eine vollständig erneuerbare Energieversorgung im Jahr 2045 errechnet hat (1.400 TWh). Und das mit einer Fläche, die heute nur 0,63 % des Energieverbrauchs im Straßenverkehr liefert!
Der deutsche Biokraftstoff-Anbau hat 2020 weniger als ein Prozent des Energieverbrauchs im Straßenverkehr geliefert.
Mit PV-Kraftwerken könnte man auf der gleichen Fläche über das Jahr gerechnet so viel Strom produzieren, wie heute in Deutschland insgesamt verbraucht wird.
Wenn man mit Agri-PV auf dieser Fläche gleichzeitig Landwirtschaft und Stromerzeugung betreiben würde (locker belegt mit 0,3 MWp/ha) ließe sich damit immer noch das gesamte PV-Ausbauziel realisieren.
Diese Größenvergleiche machen deutlich, dass die gegenwärtige Landnutzung nicht mehr ernsthaft vertreten werden kann.
Allerdings wäre es gar nicht sinnvoll, den ganzen benötigten Strom in PV-Kraftwerken zu erzeugen, obwohl dies inzwischen die billigste Technik ist. Erstens ist es in Deutschland ratsam, etwa die Hälfte des Stroms in Windkraftwerken zu produzieren, weil sich hier Wind und Sonnenschein im Zeitverlauf gut ergänzen. Auch Biogas kann in Nischen eine sinnvolle Rolle spielen. Zweitens ist es wünschenswert, einen großen Teil der Photovoltaik verbrauchsnah und naturschonend auf Gebäuden oder versiegelten Flächen zu installieren. Nur hat Habeck recht: das geht nicht so schnell und ist (vorläufig noch) teurer als Freiflächenanlagen. Die von ihm vorgeschlagenen 11 GW Freiflächen-PV pro Jahr machen knapp 14.000 ha aus. Das entspricht nur 0,6% der Fläche, die heute mit Energiepflanzen belegt ist, oder 1,9% der Fläche, die für Biokraftstoffe mißbraucht wird.
Stromnutzung
Wenn wir nun auch die heutigen Nutzungsmöglichkeiten von Strom ansehen, dann wird der Wahnsinn der agrarischen Kraftstoffproduktion noch deutlicher. Denn Elektromotoren sind wesentlich effizienter als Verbrennungsmotoren.
Die Verbrauchsdaten betragen 12 bis 30 Kilowattstunden pro 100 Kilometer (kWh/100km) — rechnen wir für einen durchschnittlichen PKW einmal großzügig mit 19 kWh/100km. Mit dem oben errechneten Stromertrag aus der deutschen Biokraftstoff-Anbaufläche (590 TWh) könnte man daher mit Elektroautos 3.100 Milliarden PKW-Kilometer fahren, das ist das fünffache der PKW-Fahrleistung in Deutschland 2020 (626 Mrd. km). In Wirklichkeit wurden 2020 für diese Fahrleistung — vorwiegend mit Verbrennungsmotoren — 1363 PJ Energie aufgewendet, das 95-fache des deutschen Biokraftstoff-Ertrags (14,3 PJ)
Der Stromertrag von PV-Kraftwerken auf der deutschen Biokraftstoff-Anbaufläche würde mit Elektroautos für das Fünffache der PKW-Fahrleistung in Deutschland reichen
An dieser erschreckenden Gegenüberstellung kann man jetzt noch Differenzierungen in die eine oder andere Richtung anbringen. Z.B. dass bei der Herstellung von Rapsöl als Dieseltreibstoff eiweißhaltiger Rapskuchen übrig bleibt, das als Futtermittel verwendet wird. Oder dass Solarkraftwerke die Bodennutzung für dreißig Jahre festschreiben, während Raps oder Mais in der nächsten Saison durch eine andere Ackerfrucht ersetzt werden kann. Aber auch, dass die Vegetation unter neueren PV-Kraftwerken im Vergleich zu intensivem Energiepflanzen-Anbau eine wesentlich höhere ökologische Vielfalt zeigt. Auch die statistischen Angaben sind nicht immer kohärent — so gibt die AGEE einen 16% niedrigeren Biokraftstoff-Einsatz an als das BNE, was auf eine noch niedrigere Effizienz hinweist. Die Größenordnungen aber bleiben bei allen Korrekturversuchen gleich.
Für indische Verhältnisse kam ein renommiertes Forschungsinstitut zu ähnlichen Ergebnissen, die es in folgender Grafik zusammengefasst hat:
Nehmen wir an, Habecks Plan, jedes Jahr 11 GW PV-Freiflächen-Kraftwerke aufzustellen, würde allein durch die Umnutzung von Kraftstoff-Monokulturen realisiert. Dann entspricht die jährliche Senkung der Biokraftstoff-Produktion der durchschnittlichen Fahrleistung von nur 9200 PKW. Der zusätzlich produzierte Strom würde hingegen für 4,3 Millionen Elektroautos reichen. Ob schwere Privatfahrzeuge, die 95% der Zeit stillstehen, der Weisheit letzter Schluss sind, steht auf einem anderen Blatt.
Der von Habeck vorgeschlagene jährliche PV-Freiflächen-Zubau entspricht der Anbaufläche von Biokraftstoff für nur 9200 PKW, könnte aber Strom für 4,3 Millionen Elektroautos liefern
Wir müssen in Europa schneller umdenken. Wenn wir warten, bis die Bremser pensioniert sind, kommen wir zu spät. Nicht nur im Hinblick auf die Klimakrise. In China wurden letztes Jahr 45% des weltweiten Zubaus an Photovoltaik installiert, sowie 59% aller weltweit verkauften Elektroautos abgesetzt. Bezieht man die PV-Installationen auf das Bruttosozialprodukt, dann schaffte die EU im Vergleich zu China nur 44%, Deutschland nur 35%.
(am 5.5. Fehler im Text korrigiert: Die Einheit der Verbrauchsangabe für Elektroautos sind kWh/100km - und nicht kWh/km. An den folgenden Rechnungen ändert der Tippfehler nichts)
Habe einen Schreibfehler im Text korrigiert: Die Einheit der Verbrauchsangabe für Elektroautos sind kWh/100km (nicht kWh/km). An den folgenden Rechnungen hat sich nichts geändert.
wunderbar erhellende Zusammenhänge - nun noch bitte auf schönen Schaubildern, damit alle das verstehen können. Danke Ruggero